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DIE ATHOS-REISE VON VEIT HOFMANN Meine Damen und Herren, >>Der Schriftsteller Erhart Kästner, der weitgereiste Kenner antiker Welt und moderner Kunst<< - wie Paul Raabe, Kästners Nachfolger an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, eine ungewöhnliche Paarung faßt – hat, wie wir wissen, und heute auch hörten und sehen, ein Jahrzehnt lang an der Sächsischen Landesbibliothek Dresden gearbeitet, der Stadt, die ihm zuletzt wieder und wieder im Traum erstand. Hier half ihm Theodor Däubler, der Dichter des >>Nordlicht<<, im Japanischen Palais, dem Hause der Bibliothek, Sempers Freskenzyklus zu retten vor blindwütiger Übertünchung. Und hier hat Kästner als Herr des Buchmuseums den Grund seiner Liebe zum Malerbuch gelegt. Die Liebe zu Griechenland wird Kästner von Gerhart Hauptmann haben, dessen Sekretär er für einige Jahre war, Hauptmann, der seit Jugendtagen oft in Dresden weilte, zuletzt im Februar 1945 den Untergang der Stadt erfahren mußte. Die später sich erfüllende Liebe zum heiligen Berg der Griechen, zum Athos, aber hat Kästner von Däubler geerbt; der Triestiner, der gern in Dresden zu Gast war, von Ida Bienert mäzeniert, den jungen Fritz Löffler führend, hat nicht nur mit seinen Essays über zeitgenössische Maler gewirkt, ein Beispiel gebend, wie sehr Dichter sich für Schwesterkunst einzusetzen vermögen, sondern er hat zu Beginn der Zwanziger Jahre sein Buch >>Der heilige Berg Athos<< veröffentlicht, das er eine >>Symphonie<< nannte. Der Dresdner Maler Veit Hofmann wiederum hat sich von Kästner, dessen 1956 erschienenem Buch >>Die Stundentrommel vom heiligen Berg Athos<< anregen lassen, 1991 – und dann ein zweites Mal – und widmet sein eigenes Athos-Werk dem Andenken Kästners zu dessen 100. Geburtstag. Beide sind einander nicht mehr leibhaft begegnet, der Dichter starb, als der Maler jung war. Wie Kästner mit seinen Reisegefährten >>Roderich<< und >>Heinrich<<, so reiste auch Hofmann nicht allein, seine Gefährten, Mitfahrenden, Wanderer, Pilger, waren der Sammlerfreund Christian Heyne und Harald Marx, Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, der Semper-Galerie, und sonst mehr ein Liebhaber und Kenner französischer Kunst, insbesondere des Achtzehnten Jahrhunderts. In Hofmanns Reisebericht ist die Rede davon, was alles noch unberührt ist, wie in Kästners Fünfziger Jahren, aber erschreckt auch davon, was sich alles zum Neuen, nicht Besseren verändert hat. Der Maler, ein Mann des Gesamtkunstwerks, wie nun sein >>Athos<< zeigt, hat seine Aufbrüche in die Ferne nicht eigentlich als Studienreisen, nicht auf >>Motivsuche<< gedacht, sondern um das Ungewöhnliche jener Welt zu erleben. Er hat in der Mönchsrepublik lediglich fotografiert, >>für sich<<, nicht mit dem Ziel, die Fotos als Kunstwerke zu erklären, wie heute weithin üblich geworden. Aber es sind gute Bilder, wert bewahrt und veröffentlicht zu sein. Eine ebensolche natürliche Begabung hat er zu Schreiben. Er mußte sich zurückhalten, die Fülle des Erlebten, Gesehenen, Empfundenen im Wort wiederzugeben. Der Künstler wählte für seinen Reisebericht die Form eines Briefes an einen imaginären Empfänger, den er, was man ins Allgemeine heben kann, als >>lieber Freund<< anredet; so hatte es Martin Raschke getan, mit seinem berühmt gewordenen Brief über die Schönheiten Dresdens. Raschke, ein Jahr jünger als Kästner, in Rußland gefallen, lebte in Loschwitz, auf dem Veilchenweg, nicht weit weg von der Wolfshügelstraße, wo Kästner wohnte und nicht weit weg von der Pillnitzer Landstraße, dem Künstlerhaus, wo heute Veit Hofmann Wohnung und Atelier hat. Sowohl Däublers wie auch Kästners Athos-Buch sind im Insel-Verlag erschienen, Hofmanns Kunstmappe oder Malbuch als Privatdruck in delikat kleiner Auflage. Kästner hat auch an einem Bändchen der Insel-Bücherei (1962, Nr. 744) gewirkt: >>Auf dem Berg Athos<<; sein >>Nachwort<< bezieht sich ausschließlich auf seinen eigenen Athos, hebt die Photographien von Jacques Lacarrière nicht eigens hervor, was wir heute bedauern. Veit Hofmann ist ein Mann des Gesamtkunstwerks, der Wände und Tische und Stühle bemalt, ein Mann des Gesamtkunstwerks, den Wolfgang Holler, Direktor des Kupferstich-Kabinetts, gerade als solchen recht rühmt. Auch Hofmanns >>Athos<< ist ein Gesamtkunstwerks. Als leidenschaftlicher Holzschneider hat er die Innenflächen der Flügelmappe mit kleinen Holzschnitten versehen, schwarz-weiß und matt im Kontrast zu den hochglänzenden Farbfotos. Lediglich ein zurückhaltend farbiger, grau-lehmfarbener, Holzschnitt liegt als Innentitel, eine Art loses Frontispiz, vor den Seiten seines Textes: der Stundentrommler, der orthodox und roboterhaft erscheint. Es ist allemal der Bewunderung wert, wenn ein Künstler der starken Farben, ein neuer Expressionist, sich so zurückhaltend bändigt, geradezu asketisch bescheidet, wie Hofmann das hier getan hat. Ganz ist der außen montierte Druckstock, aus dünnem Sperrholz, noch farbig eingefärbt, bei jeder Mappe ein anderer. Er wirkt reliefhaft wie ein Supralibris. Es bleibt gewissermaßen ein Geheimnis, wann und was für ein Holzschnitt damit einmal gedruckt wurde, keiner der (ursprünglich) mit dem Athos zu tun hatte, aber mit seinen geklüfteten, getreppten Formen und Binnenformen nun durchaus das reiche Terrain des Athos imaginiert. Kästner verstand sich zunehmend als Sammler Von Malerbüchern (für die Bibliothek) und Schriftsteller von Aufsätzen über diese Malerbücher und über einzelne Künstler. Er sah sich selbst in einer dienenden Rolle, für Max Ernst, für Julius Bissier, für Werner Gilles und andere. Post mortem huldigen Künstler i h m , und es sind jene, die er nicht mehr mit eigenen Texten gefördert hat. (Keinem derjenigen, die seine Förderung erfuhren, war es seinerzeit eingefallen, ein Malerbuch mit seinen poetischen Texten zu machen.) Wie Veit Hofmann in Dresden, so huldigt ihm jetzt Jürgen Brodwolf im Markgräfler Land, nahe Staufen, Kästners Alterssitz. Brodwolf hat ein Ensemble von 32 Malerbüchern gemacht, die er >>Annäherung an Erhart Kästner<< nennt und die in einem eigenen Raum, einer Art Klause, in Wolfenbüttel gezeigt werden. Sie beziehen sich allesamt auf Schriften Kästners, darunter eines, das den Brief Kästners an die Freundin Elisabeth Jungmann erinnert, in dem der Autor über die Vernichtung Dresdens am 13. Februar 1945 berichtet. Es ist eines der so genannten Glasbücher. Viermal ist zwischen zwei Plexiglasscheiben jeweils eine zu einem Leichnam geknüllte Papierfigur fest eingelegt, der ein körniges oder pulvriges Pigment, glühend schwarz, eisig weiß, schwindelnd gelb, wie Asche, Kohlenschlacke, Phosphor, beigegeben ist und stiebt oder sich schüttet, wie man das Glasbuch in Händen hält. Schon vorher hat der gebürtige Schweizer vom Jahrgang 1932 in seinem künstlerischen Werk am furchtbaren Kriegs-Schicksal Dresdens teilgenommen – der einzige Nicht-Dresdner, neben dem Leipziger Hartwig Ebersbach. In Dresden selbst haben sich Ulrich Lindner und Werner Wittig mit Kästner beschäftigt, hat Lindner Kästner-Stätten in seiner Photographik festgehalten, das Japanische Palais, die Villa San Remo, Die Plattleite, die Wolfshügelstraße, die Reste der Lesehalle auf dem Weißen Hirsch. Noch ruhen die Aufnahmen im unergründlichen Archiv des Künstlers, der den Freunden seiner Kunst nicht zuletzt mit seinen Mappen und Kasetten zu Atelier und Garten Gerhard Altenbourgs, insbesondere zu den >>Dresdner Ruinen<< vertraut ist. Und Wittig, Meister der subtilen Holzrisse, schwarz-weiß oder farbig, hatte zum erstenmal bald nach dem Krieg als Kunststudent von seinem Lehrer Kästner gehört, einem Mann, der mit Kästner die Gefangenschaft in der ägyptischen Wüste erfahren hatte, worüber Kästners >>Zeltbuch von Tumilat<< Botschaft gibt; vor allem aber haben diesen Künstler der stillen, vergeistigten Gegenstände Kästners Gedanken zum >>Aufstand der Dinge<< hell zustimmend beschäftigt. Aber auch da müssen wir noch ein wenig auf die Realisierung der graphischen Ergebnisse warten. Wir tun das gern, weil voller guter Gewißheit und weil trotz des Gedenkens an Kästners posthumen 100. Geburtstag in diesem Jahr 2004 nicht auf den Tag gerechnet wird, gerade nicht, wenn es eben um Kästner geht, um Zeitloses in dieser Zeit. Dieter Hoffmann, 25. Februar 2005 / Dresden |
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